Kehrseiten der Monogamie von Serap Özdemir

Alles vergessen.

Jeden Augenaufschlag und jeden verschmitzten Grinser. Jedes schmeichelhafte Wort das die Lippen formte, jeden verlegenen Lacher. Den bekannten Duft, das Gefühl der Haare zwischen den Fingern, der Arme und der Taille unter den Händen, Brust an Brust, das Pochen eines fremden Herzens, der warme Atem im Nacken, die aufgestellten Haare, das Rot in den Wangen, die verträumte Süße im Blick, die Anspannung des Kiefers und das sanfte Verschränken der Finger. Bei manchen mehr bei manchen weniger. Das wohlige Gefühl der Geborgenheit, des Angekommenseins, des Verstandenseins. Der sichere Gedanke zu allem fähig zu sein, die scheinbar unzerbrechliche Illusion bis in die Unendlichkeit glücklich sein zu können. Zukunftspläne. „Nichts könnte das hier ruinieren.“ Flatternder Kleidersaum und aufgeschlagener Jackenkragen. Die Bekanntheit des Schrittes, Schuhe die klackern. Parks, Caféecken, Museen, Geschäfte, Dachterassen. Und dann die unbedeutenden Orte großer Signifikanz; Straßenecken unter dem Licht der Laterne, Hauseingänge an dunklen Nächten, Bibliotheksregale, Hörsalbänke, U-Bahn-Stationen und Bahnhofsgleise. Stammplätze. Jedes zusammen verspeiste Gericht, jeder zusammen angesehene Film, jedes einander empfohlene Lied. Jedes gottverdammte Pärchen, jung und alt, jeder beschissene Benachrichtungston am Handy, jede ach so schöne Geburt in der Familie und jede dumme Hochzeit. Worte, die man neu erlernt hatte und Ausdrücke die man gemeinsam verwendete. Angewohnte Redewendungen und Begrüßungen. Autoren, Bücher, Lieblingsgedichte. Jede neue Person, die versucht mit einem zu flirten und jeder Blick fremder interessierter Menschen. Irgendein einsames Herbstblatt, das an einem kahlen Ast hängt und durch den Wind zu reißen droht. Einfach alles anfänglich noch so unbedeutende.

Ja, das alles vergessen, allem die Bedeutung entreißen und bis auf die nackte Essenz der Dinge zurückführen. Alle angehefteten Emotionen und Gedanken wegradieren, ein leeres Blatt schaffen, leer, blind und taub durch den Alltag wandeln, versuchen nichts zu fühlen um nicht überflutet zu werden. Ein Ablenkungsversuch nach dem anderen, Vermeidung von Orten und Gegenständen. Raum schaffen für neue Assoziationen, die dann wiederum gelöscht werden müssen um durch andere ersetzt zu werden. Eine scheinbar endlose Kette des Vergessens und des Wiederbeschreibens.

– Wozu fragt man sich dann auch noch. Zuerst natürlich das körperliche und seelische Verlangen nach Zuneigung und Zweisamkeit. Aber bei manchen dann auch Unzufriedenheit, Unfähigkeit sich selbst alleine zu ertragen. Die Unerträglichkeit, die unausprechlich ungeheure Angst vor der unvermeidlichen Einsamkeit.

 

Serap Özdemir is a writer from Wiener Neustadt, Austria. You can find her blog on auszeitbitte.wordpress.com


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